Ortsgeschichte Tissa/Ulrichswalde
Tissa / Ulrichswalde – Gemeinde mit guten Aussichten
Die Gemeinde Tissa/Ulrichswalde liegt auf einem Höhenzug zwischen Stadtroda und Mörsdorf, der auf der einen Seite durch die Tälerdörfer und der anderen durch das Weihertal begrenzt wird. Während Ulrichswalde von seiner Siedlungsstruktur her ein Streudorf ist, handelt es sich in Tissa um einen slawischen Rundling.
Sicherlich wegen der Einmaligkeit dieser Erscheinung wurde der gesamte Ort bis 2000 unter vorläufigen Denkmalschutz gestellt. Das Gemeindegebiet mit einer Gesamtfläche von 411 ha hat mit Erdmannsdorf, Waltersdorf, Tröbnitz, Stadtroda, Möckern und Quirla gemeinsame Grenzen.
Bei einer Höhenlage von 280m ist an vielen Standpunkten eine optimale Rundumsicht zur Leuchtenburg, nach Jena zur Lobdeburg, zur Wöllmisse und nach Mörsdorf garantiert. Tissa ist wohl eine der höchstgelegenen Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft. Dieser Tatsache ist es wohl auch zu verdanken, das die gesunde Höhenluft eine verstärkte Nachtaktivität fördert und eine hohe Geburtenrate zur Folge hat. So sind immerhin 25 Prozent der Tissaer Kinder unter 14 Jahre alt und 6 Kinder besuchen ständig Kindergärten. Die Zahl der Kindergartenkinder stieg zeitweise auf 14 an, eine enorme Belastung für die gebeutelte Gemeindekasse.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum in der Gemeinde bisher kein Wohnbaugebiet ausgewiesen wurde, obwohl Nachfragen auswärtiger Bewerber reichlich vorhanden waren. In Tissa ist man nicht auf den Zuzug von Einwohnern angewiesen, die Tissaer haben lieber selbst für neue Einwohner gesorgt. Aber auch in Ulrichswalde wird an dieser Aufgabe mit zunehmenden Elan gearbeitet. Dadurch hat sich die Einwohnerzahl in Ulrichswalde auf 58 und in Tissa auf 103 Einwohner stetig erhöht.
Nun aber mal allen Ernstes, dieses Bergvölkchen hat schon einiges vorzuweisen, seitdem die harte D-Mark auch in der Gemeinde offizielles Zahlungsmittel geworden ist. Die erste Investition war in von 1992 bis 1994, der Bau einer komplett neuen Wasserversorgung mit Hochbehälter. Dieses machte sich aus Gründen des immer geringer werdenden Wasserangebots, der zunehmenden Nitratbelastung und der teilweisen Überalterung der 1906 in Ulrichswalde und 1922 in Tissa (immerhin je innerhalb eines Jahres) errichteten Anlagen notwendig. Die Baukosten betrugen diesmal das 70-fache der damaligen Investitionen, hätten allerdings bei weitem nicht ausgereicht, die Gemeinde umzusiedeln.
Von 1995 bis 2000 konnte die Gemeinde viele Fördermittel im Rahmen der Dorferneuerung für private und gemeindliche Vorhaben erhalten. Diese flossen hauptsächlich in die Erhaltung und Modernisierung der zahlreichen Vierseithöfe, in die Instandsetzung des Gemeindehauses in Ulrichswalde und in den Neubau eines Gemeindezentrums mit Versammlungsraum und Jugendzimmer in Tissa.
Im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen beim Autobahnbau wurden die Renaturierung des Dorfteiches Tissa durchgeführt. Für die nahe Zukunft werden Fördermittel aus dem landwirtschaftlichen Wegebauprogramm erwartet. So sind neue Wege in Planung bzw. werden solche zur Zeit instandgesetzt. Weitere, noch geplante großes Vorhaben, sind der Bau der Dorfstraße, welcher durch dieKreisstraßenverwaltung erfolgen soll, sowie die Gestaltung der Dorfplätze.
Die Gewerbetätigkeit in der Gemeinde beschränkt sich auf drei landwirtschaftliche Betriebe im Haupterwerb und drei im Nebenerwerb, einen Holzrückedienstleister, ein mobiles Sägewerkunternehmen, sowie den weithin bekannten Kräuterhof.
Im Jahre 1996 entschied sich die Gemeinde Tissa/Ulrichswalde im Zuge der Gebietsreform der Verwaltungsgemeinschaft „Hügelland/Täler“ beizutreten, um die Selbständigkeit in ländlich geprägter Verwaltungseinheit zu bewahren. Ein Blick in die Chronik zeigt uns, daß dies nicht die erste Verwaltungsreform war. So wurden 1923 Tissa, Ulrichswalde, Quirla, Tröbnitz, Geisenhain und Hainbücht nach Stadtroda eingemeindet und 1924 alle außer Hainbücht wieder ausgemeindet. Das ging also damals schon nicht gut. Ein Pfund Brot kostete zu dieser Zeit übrigens 3 Milliarden Mark, so steht es in der Chronik geschrieben.
Viele weitere wichtige und schöne Details aus vergangenen Tagen sind in den beiden Chroniken, welche in den dreißiger und vierziger Jahren entstanden, festgehalten. Eines der bemerkenswertesten ist wohl der, dass die Dörfer früher ein eigenes Braurecht mit dem dazugehörigen Brauhäusern besaßen und somit ein Großteil der Gemeindestrafbefehle in Biereinheiten verhängt wurden.
Des weiteren ist aus den Chroniken zu erfahren, dass seit 1902 in Ulrichswalde und seit1919 in Tissa ein öffentliches Telefon installiert war und das der erste Fernseher 1957 in Tissa und 1959 in Ulrichswalde angeschafft wurde.
Bis 1902 bzw. 1906 drehte ein Nachtwächter seine Runden. Aus mehreren Hofstellen aus Tissa und Ulrichswalde wanderten Einwohner nach Amerika aus, diese wurden sogar mit Reisegeld bis 40 Taler ausgestattet.
In Ulrichswalde wurde von 1898 bis 1908 ein Sägewerk mit Dampf- und Ölmotorenantrieb betrieben. Aber auch die weniger alltäglichen Geschehnisse wurden in den Chroniken festgehalten. Man erfährt u. a., dass im Jahr 1880 Johann Schumann betrunken im Dorfteich ertrank und im Jahr 1572 ein Einwohner einen anderen Einwohner erstach und im Jahr 1598 derselbe einen anderen in Notwehr erschoss. Im Jahre 1763 wurde ein Knabe unter einem Birnbaum gefunden und Georg Nicol Birnbaum getauft. Sechs Gemeinden darunter Ulrichswalde mussten die Patenschaft übernehmen.
Auch Politiker damaliger Zeiten waren von hier. So war zum Beispiel der nach dem 2. Weltkrieg von den Amerikanern eingesetzte erste Ministerpräsident Thüringens, Dr. Rudolph Paul, damals Gutshofes Ulrichswalde Nr. 6. Sein ehemaliges, unter Denkmalschutz stehendes Anwesen, wird durch die neuen Eigentümer seit 1997 unter Beachtung aller baubiologischen und bauhistorischen Belange, bis hin zur Herstellung eigener Farben, sachkundig restauriert und von einer Ruine wieder zu einem Kleinod werden.
Nachzulesen ist auch, dass in den Jahren 1920 und 1934 eigene Friedhöfe in den Gemeinden angelegt wurden. Auch schwere Unwetter, große Wasser und ungewöhnliche Wetterlagen, die uns heute so beunruhigen, traten in der damaligen Zeit auf. So ist von 18 großen Wassern und Überschwemmungen die Rede. Im Jahr 1821 badeten die Kinder Heiligabend im Dorfteich so gelinde war das Wetter und 1858 war zwei Monate lang ein Komet mit langem Schweif zu sehen, 1831 waren im Herbst frische Heidelbeeren zu pflücken.
Aus den Chroniken ist ebenfalls zu entnehmen, dass 1898 eine neue Feuerwehrspritze für Tissa und Ulrichswalde angeschafft wurde. Und 1903 besuchte, man glaubt es kaum, Herzog Ernst mit Gemahlin und Gefolge mittels Automobil das Dörfchen Ulrichswalde. Seine Hoheit grüßte und drückte Jedem die Hand, so wird`s berichtet. Nach dem 1. Weltkrieg beklagten die Einwohner in Ulrichswalde 5 gefallene Soldaten von 15 eingezogenen Männern, während in Tissa ein Soldat gefallen war. Im 2. Weltkrieg kehrten aus Ulrichswalde 3 Soldaten und in Tissa 6 Soldaten nicht in die Heimat zurück.
Nun aber noch einmal zurück in die heutige Zeit, über die hoffentlich auch noch in hundert Jahren alles Wichtige nachzulesen sein wird. Der kulturelle Mittelpunkt in der Gemeinde ist die jährliche Veranstaltungsreihe des Heimatvereins Tissa, die im Mai und im Juni veranstaltet wird. Die Palette der Veranstaltungen reicht vom Jugendtanz, über Holzhacker- und Vereinsfest bis zum Sensenmähwettbewerb. Der Hauptgedanke bei der Durchführung unserer Feste ist es, die Brauchtumspflege, die Naturverbundenheit und natürlich die Geselligkeit zu fördern und zu erhalten.
Zum Vereinsfest sind speziell Vereine, Feuerwehren sowie Sport- und Faschingsvereine und artverwandte Zusammenschlüsse willkommen. Diese werden sogar mit Bussen an- und abgefahren. Beim Sensenmähwettbewerb können Sensenmänner und -frauen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, mit Muskelkraft die Ernährung zu sichern. Hierbei sind oftmals recht ansehnliche Preise zu erstreiten. Und außerdem führt ein Spaziergang auf dem Weg von Tröbnitz aus über Tissa/Ulrichswalde direkt in die Weihertalmühle, zu einer wohlverdienten Mahlzeit und natürlich auch wieder zurück in die Gasthäuser nach Tröbnitz und Waltersdorf.
Es ist also schon so: die Gemeinde Tissa/Ulrichswalde ist jedes Jahr mindestens einmal eine Reise wert ! Rainer Hartung
Bürgermeister